Hänsel und Gretel
oder: Arm und Reich

In den Märchen spiegeln sich oft auch die sozialen Verhältnisse ihrer Entstehungszeit. Das bekannteste Märchen der Brüder Grimm handelt so von bitterer, nein, brutaler Armut und ihr gegenüber unermesslichem Reichtum. Wie verheerend kann Armut sein, dass sie Eltern veranlasst, ihre Kinder tief in den Wald hineinzuschicken, in der Hoffnung, sie mögen nicht nach Hause zurückfinden?

Im Gegensatz zu den bitterarmen Eltern, bei denen letztendlich Hunger der „beste Koch“ ist, ist die Hexe im Wald unermesslich reich. Wer kann sich in einer Zeit und Umgebung, in der Menschen hungern, ein Haus leisten, das mit den feinsten Pfefferkuchen und Süßigkeiten bedeckt ist? – Hänsel und Gretel nehmen von dem, was der reichen Hexe gehört, um ihren Hunger zu stillen. – Schnell stellt sich heraus: Das verlockende (Hilfs-)Angebot der Hexe ist ein Köder. Die Kinder, denen sie ihre scheinbar großzügige Hilfe anbietet, will sie sich selbst einverleiben. Nur gut, dass sie am Ende im Feuer des Ofens (der Hölle?) schmort.

Vielleicht sind gerade die bittere Armut, die die Menschheit seit jeher begleitet, und der bis zum heutigen Tag unerfüllte Wunsch nach einem gerechten Ausgleich die Gründe, weshalb das „Hänsel und Gretel“ zu einem der bekanntesten Märchen deutscher Sprache geworden ist.

Engelbert Humperdincks (1854 – 1921) Oper „Hänsel und Gretel“, deren Libretto sich in einigen Teilen vom Grimm‘schen Vorbild unterscheidet, geht auf eine Bitte von Humperdincks Schwester Adelheid Wette: Er möge für ein kleines Singspiel in der Familie einige Lieder vertonen. Humperdinck sagt gerne zu. Er fühlt sich nämlich gerade völlig blockiert, nachdem er sich an Richard Wagner gebunden hatte. Er weiß gar nicht mehr, wie er zu seinem eigenen Stil zurückfinden kann und ist für den Impuls dankbar. Die Aufführung gelingt, die Familie ist hellauf begeistert. Zusammen mit seiner Schwester entwickelt er dann aus diesem „Kinderstuben-Weihfestspiel“ (so in ironischer Anspielung auf Wagner) eine durchkomponierte Oper. In die Oper nimmt er teils bestehende Volkslieder auf, schreibt aber auch neue Lieder, die erst danach zu beliebten Volksliedern werden.
Uraufgeführt wird „Hänsel und Gretel“ unter der Leitung von Richard Strauß am 23. Dezember 1893 in Weimar, um danach zu einer der beliebtesten und meist gespielten Opern überhaupt zu werden.

Aus der Oper erklingen das Vorspiel und der Abendsegen.
Zum Vorspiel schreibt Humperdinck in einem Brief vom 16.12.1891 an Hermann Wette:

„Vergangenen Sonntag habe ich auch die Ouvertüre niedergeschrieben, die ein ziemlich ausgedehntes Musikstück geworden ist, eine Art symphonischer Prolog, den man ein ‚Kinderleben‘ betiteln könnte. Er beginnt mit dem Schutzengelchoral, von Hörnern vorgetragen, geht dann über in das ‚Hokus pokus‘, welches wiederum der Melodie ‚Die Englein haben’s uns im Traum gesagt‘ weichen muss, woran sich nun lustig ‚Die Hexerei ist nun vorbei‘ in fröhlichem E-Dur anschließt. Dann klingt wieder der Choral hinein, der sich nun mit der Melodie ‚Die Englein haben’s etc.‘ organisch verbindet und mit dem triumphierenden ‚Die Hokus-Pokus-Hexerei ist nun vorbei‘ glanzvoll in C-Dur abschließt. Es geht etwas lärmend darin zu, aber ‚sunt pueri, pueri puerilia tractant‘ (Kinder sind einmal Kinder, als Kinder stellen sie Kindisches an) und für die derbe Knabenstimme passt eben nur die Trompete.“

Als weiteres Highlight aus der Oper ist der Abendsegen zu hören: Hänsel und Gretel haben sich im Wald verirrt und es wird Abend. Der Sandmann kommt und macht sie schläfrig. Bevor sie einschlafen, beten sie gemeinsam den Abendsegen: „Abends will ich schlafen geh‘n, vierzehn Engel um mich steh’n ...“ – Der Abendsegen ist eine der Melodien, die es geschafft haben, zum Allgemeingut zu werden, und der zugehörige Text wird ebenfalls für lange Zeit fester Bestandteil des allgemeinen Repertoires von Kinder-Abendgebeten.

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