Sinfonie Nr. 6 "Pastorale"

Ludwig van Beethoven machte seine erste Erfahrung von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" in der adeligen Bonner Familie von Breuning, die ihren 13jährigen Klavierlehrer ohne Standesdünkel als gleichwertig „adoptierte". Hier fand er im Gegensatz zu seinem durch die Alkoholkrankheit des Vaters schwierigen Elternhaus eine Oase der Zuwendung, Zugang zu höherer Bildung und konnte halbe Nächte „am Klavier phantasierend" zubringen. Mit dieser „Zweitfamilie" verbrachte er mehrere Sommer in Kerpen, wo der Onkel von Breuning Stiftsherr war.

Ob Beethoven in seiner 6. Sinfonie an den Neffelbach gedacht hat, der damals noch offen durch Kerpen lief oder doch eher an Bäche in Nußdorf oder Grinzing bei Wien, wissen wir nicht. Die Natur als Ruhepunkt und Inspirationsquelle blieb ihm jedenfalls sein Leben lang wichtig. Obwohl die „Kuckucke und Nachtigallen", die er zu der Zeit übrigens gar nicht mehr hören konnte, „an der Sinfonie mitkomponiert" haben, hat er sich heftig gegen die Ansicht gewehrt, sie sei pure Nachahmung der Natur. „Man überlässt es dem Zuhörer, die Situationen auszufinden. Sinfonia caracteristica oder eine Erinnerung an das Landleben. Auch ohne Beschreibung wird man das Ganze, welches mehr Empfindung als Tongemälde, erkennen," verteidigte er sich.

Claude Debussy überzeugte er damit nicht. Der schrieb als Kritiker „Monsieur Croche" (Herr Achtelnote): „Sehen sich die Szene am Bach an: es ist ein Bach, aus dem allem Anschein nach Kühe trinken (jedenfalls veranlassen mich die Fagottstimmen dazu)." Beethoven schrieb seine Sinfonien immer paarweise. In diesem „idyllischen" Gegenstück zur dramatisch-kämpferischen Fünften herrscht durchgängig eine heitere Grundstimmung, die durch das dramatische Gewitter nur kurz unterbrochen wird. Der sturmerprobte Mensch lässt sich von keinem Schicksal mehr unterkriegen.

1801 erbaute Emanuel Schikaneder mit den Geldern, die er durch die „Zauberflöte" verdient hatte das neue, 1000 Plätze fassende Theater an der Wien, in dem u.a. Beethovens Oper „Fidelio" Premiere hatte. Beethoven durfte dort, wenn das Theater geschlossen war, gelegentlich Benefizkonzerte zu eigenen Gunsten geben. Die Akademie am 22.12. 1808 dauerte mehr als 4 Stunden im bitterkalten Theater und umfasste die 5. und 6. Sinfonie, das 4. Klavierkonzert, die Chorfantasie und Teile aus der C-Dur Messe, also alles, was Beethoven in der letzten, ungeheuer produktiven Zeit geschrieben hatte. Der Erfolg war mäßig, denn es war wenig geprobt worden und das Zusammenspiel mit dem tauben Beethoven sicher nicht leicht. Die Chorfantasie versank im Chaos und musste neu begonnen werden.

Die sechste Sinfonie in der Pastoral-Tonart F-Dur entspricht, wenn man von der unterbrechenden Gewitterszene einmal absieht, formal genau dem, was sich in der Wiener Klassik eingebürgert hatte: Die beiden ersten Sätze haben Sonatenform, dann kommt ein Scherzo und zum Schluss ein Variationsrondo. Dennoch hat man als Hörer den Eindruck einer völlig freien Fantasie, die sich organisch entwickelt. Der Wechsel der Klangfarben ist außergewöhnlich abwechslungsreich.

Um das „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande" zu schildern, benutzt Beethoven ein kroatisches Reigenlied „Sirvonja", dessen Melodie er in einzelne Motive aufspaltet und kunstvoll miteinander kombiniert. Dazu hört man Vogelgezwitscher der Flöten in hohen Lagen und das Klopfen des Specht, in der Ferne schmetternde Jagdhörner.

Im 2. Satz murmelt der Bach, die „Goldammern oben, die Wachteln, Nachtigallen und Kuckucke" werden vertreten durch Flöte (Nachtigall), Oboe (Wachtel) und Klarinette (Kuckuck).

Im Scherzo treten die Menschen in den Vordergrund, die bei einem ländlichen Fest ausgelassen singen und tanzen. Bei den beliebten Schäferspielen der Rokokozeit waren die Schäfer (lateinisch: pastores) verkleidete Adelige gewesen. Bei Beethoven geht es nun um wirkliche Landleute, die sich mit der aktuellen Musik kroatischer Musikanten samt ungewohnter (falscher) Einsätze und den gebräuchlichen Instrumenten vergnügen. Hier finden sich wieder Motive des Liedes aus dem ersten Satz, temperamentvoll angestimmt von den Bratschen und Celli.

Jäh unterbrochen wird das Fest von den ersten Regentropfen, dargestellt von leise getupften Tönen der 2.Geigen und dem Heulen des Windes (1.Geigen). Die Menge stiebt aufgeregt auseinander, das Inferno bricht los. Blitze zucken, Regen rauscht, der Sturm gipfelt in einem durchdringenden Pfiff der Piccoloflöte.

Unheimlich anschwellendes Donnergrollen schildert Beethoven durch Überlagern von heftigen, rhythmisch leicht unterschiedlichen Figuren in den Celli und Kontrabässen. Das Gewitter beruhigt sich so plötzlich, wie es gekommen ist; das aufgeregte Regenthema verwandelt sich in einen getragenen Dankchoral. Gewitterfolgen wie Brände oder Vernichtung der Ernte waren damals schließlich weitaus schlimmer als heute. Lange dauert die dankbar-feierliche Stimmung aber nicht. Die Instrumente nehmen den Ländlerrhythmus wieder auf und alles endet in einem ausgelassen wirbelnden Tanz, der viele Motive aus der Sinfonie wieder aufnimmt.

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