ABBA

In seinem jährlichen Konzert „KlassikKontraste“ stellt das Sinfonieorchester Bergheim gerne Musikstücke aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen und Klangwelten einander gegenüber, denn im Kontrast schärfen sich die Konturen, so dass die jeweilige Eigenart der Stücke umso deutlicher erkennbar wird. Sieben Songs der schwedischen Popgruppe ABBA heben sich ab von den sinfonischen Werken des heutigen Konzerts. Der Orchesterklang wird erweitert durch eine Band um Martin Doepke und die Stimmen der beiden temperamentvollen Sängerinnen Anna Doepke und Anne Sass. Die Arrangements von Thorsten Schäffer binden die Songs von ABBA originell ein in den großen sinfonischen Orchesterklang und schaffen so noch einmal etwas Eigenes, Neues – einen klanglichen Kontrast zum Original. So werden die Songs, die den meisten Konzertbesuchern wohl allzu bekannt sein dürften, erneut frisch und lebendig. – Dabei liegt das Orchester ganz auf der Linie von ABBA, denn ABBA selbst hat es meisterlich verstanden, Alt und Neu zu verbinden. Wie in den zuvor gehörten skandinavischen Orchesterwerken schöpft auch ABBA unter anderem aus der Volksmusiktradition Skandinaviens, bringt mitreißenden, tanzbaren Disco-Schwung herein, schrille, kitschig-ironische Auftritte und, gut dosiert, für diese Zeit ganz neue Klänge, wie z.B. den elektronischen Sound des gerade neu aufkommenden Synthesizers.

ABBA besteht als Gruppe seit 1972, allerdings mit einer „Pause“, die schon nach zehn Jahren, 1982 anbricht. Die Fans sind schockiert. Erst 2021 findet die Pause durch ein aufsehenerregendes Comeback ein ebenso überraschendes Ende. Auch jetzt zeigt sich nochmals auf andere Weise die Innovationskraft und Aufgeschlossenheit der Gruppe für Neues im virtuellen Konzert „ABBA Voyage“: Seit 2022, fünfzig Jahre nach der Gründung, stehen die virtuellen „ABBAtars“ von Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Anderson und Anni-Frid Lyngstad erneut auf der Bühne einer eigenen Spielstätte, der ABBA-Arena in London, begleitet von einer Live-Band. Die Gesangsstimmen zeichnet ABBA hierfür eigens neu auf: Die Stimmen von heute im Erscheinungsbild von 1979.

Ganz zu Recht wird ABBA als „All-Star-Band“ bezeichnet, denn als Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid zueinander finden, als Paare und als Band, haben alle vier bereits eine erfolgreiche Pop-Karriere hinter sich. Sie alle hatten waren schon bei den regelmäßigen sommerlichen Festivals populärer Musik in den sogenannten „Folkparken“ Schwedens zu hören gewesen. Populär im Land sind zu dieser Zeit auch die schwedische Radio-Hitparade „Svensktoppen“ (seit 1962) und die jährlichen „Melodifestivalen“ als Vorentscheidung für den Grand Prix Eurovision de la Chanson (heute „Eurovision Song Contest).

Ihren ersten, großen internationalen Erfolg kann ABBA beim besagten internationalen Grand Prix 1974 in Brighton (Großbritannien) feiern, den die Gruppe für Schweden mit dem Song Waterloo gewinnt. Wir feiern heute also ein 50jähriges Jubiläum! Jan Wiele bezeichnet „Waterloo“ als einen „Gamechanger“ beim Grand Prix: Hier wird erstmals in diesem Rahmen „das Triviale, Kitschige, Poppige“ – übertrieben Künstliche, verbunden mit einer guten Prise unterschwelliger Selbstironie deutlich herausgestellt. Damit öffnet ABBA ganz ungeniert die Tür zum „glitzernd-kommerziellen Popuniversum“ (Wiele). Die Botschaft lautet: Musik ist ein Markt.

ABBA bekommt dafür durchaus Gegenwind, gerade aus der traditioneller orientierten schwedischen Popszene. Aber auch die Briten können mit dem neuen Stil noch wenig anfangen: Beim Grand Prix geben sie ABBA für „Waterloo“ null Punkte. Der Titel täuscht insofern, als er nicht von der historischen Niederlage Napoleons in Waterloo handelt, sondern von der seligen „Niederlage“ dessen, der sich verliebt und sich nun seiner Liebe ergeben muss. Es gibt kein Entkommen: „Couldn’t escape if I wanted to – Waterloo – Knowing my fate is to be with you.“ – Die Grundstimmung ist fröhlich und der Text erinnert in manchem – wie andere ABBA-Songs – an das Spiel des Dadaismus mit Silben und Klängen. Ja, Musik ist Kommerz, aber es ist auch ein Spiel. Man sollte das alles nicht zu schwer nehmen.

Ebenso direkt und verspielt zugleich kommt Money Money Money daher. Der Text könnte sozialkritisch gemeint sein, denn er handelt von einer Frau, die sich mit harter Arbeit gerade so über Wasser halten kann und sich deshalb als Lösung ihrer Probleme einen reichen Mann wünscht. Auch das sollte man nicht allzu ernst nehmen: Björn Ulvaeus sagt, der Text sei ironisch gemeint. Und die Ironie wird unterstrichen durch den Auftritt in Kimono-Kostümen. – „Money Money Money“ wird 1974 für ABBA zum ersten großen internationalen Erfolg. In Deutschland wird der Song der fünfte Nummer-eins-Hit von ABBA in Folge, die Single wird in Deutschland 450.000 Mal verkauft, in Frankreich sogar 500.000 Mal, und auch die Briten haben sich mittlerweile „bekehrt“, so dass ABBA für den Titel mit einer halben Million verkaufter Singles auf der Insel eine Goldene Schallplatte erhält. In ganz Europa und auch weit darüber hinaus bis nach Costa Rica, Mexiko, nach Simbabwe und Australien ist Money Money Money ein großer Erfolg.

Auch das Lied Dancing Queen (1976) birgt gegenläufige Emotionen und Strömungen. Eine 17jährige tanzt ganz hingebungsvoll, versunken, selig. Alleine. Das lyrische Ich beobachtet sie teilnahmsvoll, auch mit Bedauern. Sie tanzt frei, aber wirkt zugleich einsam, verschlossen in ihr Tanzen und in sich selbst. Auch Dancing Queen zählt mit über 6 Millionen verkauften Singles zu den meistverkauften Platten der 70er Jahre. Heute gilt Dancing Queen als Disco-Klassiker. ABBA ist wieder einmal nahe an der musikalischen Entwicklung der Zeit. Aus dem eher stampfenden Rock-Rhythmus entwickelt sich ein neuer, federnder Schlagzeug-Rhythmus, der die aufkommende Disco-Musik prägt. Für ABBA ist es wichtig, tanzbare Musik zu produzieren. Federführend bei der Entwicklung des Songs sind neben Björn Ulvaeus und Benny Anderson der Toningenieur Michael Tretow und der Schlagzeuger Roger Palm.

Dancing Queen entstand übrigens wie viele ABBA-Songs auf der kleinen Insel Viggsö im Stockholmer Schärengarten. Dort haben Agnetha und Björn eine Hütte gekauft, mit einem Haus und mit einer kleinen Hütte, ganz oben auf dem Hügel, mit einem wunderbaren Ausblick. Die ABBA-Mitglieder hegen und pflegen den Mythos von fleißigen Tagen und Nächten, in denen vor allem Björn und Benny texten, komponieren und arrangieren. So wächst bei ABBA-Fans der Eindruck, diese Musik komme aus dem Wald, aus den Tiefen der skandinavischen Natur. Die Hütte auf Viggsö stellt die greifbare Verbindung dar zur Verwurzelung von ABBA in der schwedischen Volksmusik.

Zu ABBAs Erfolg trägt besonders die Qualität der Produktion bei: Nicht nur Text, Melodie und Arrangement müssen stimmen, Ulveaus und Anderson arbeiten akribisch und minutiös an der Produktion. Alles muss bis ins Detail stimmen. Nichts wird dem Zufall überlassen. Der Song Thank you for the Music wird am 2. Juni 1977 erstmals aufgenommen. Die Musiker sind mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden, so folgt anderthalb Monate später, am 27. Juli 1977, eine zweite Aufnahme. Allerdings ist das Lied schon zuvor, im Frühjahr 1977 auf einer Europa-Australien-Tournee live aufgeführt worden, als Teil des Musicals „The Girl with the Golden Hair.“ 1980 entsteht auch eine eigene, spanische Version: „Gracias por la música.“

Ebenso eingängig wie beispielsweise „Money Money Money“ ist das Lied Gimme Gimme, in dem es um den Wunsch nach körperlicher Liebe geht. Eine Frau, die ihre Nächte alleine verbringt, wünscht sich: „Gimme, gimme, gimme a man after midnight. Take me through the darkness to the break of the day.“ Sie möchte nach Mitternacht nicht alleine sein. – Auch dieser Song verbindet die Melancholie im Text mit tanzbarer Rhythmik, die eigentlich jeden in Bewegung versetzt.

Die Liebe und ihr Vergehen sind immer wieder Thema der ABBA-Songs. Die Gruppe startet als Gruppe zweier Liebespaare, frisch verheiratet, und bietet sich ihren Fans auch mit der Entwicklung und dem Niedergange ihrer eigenen Paarbeziehungen als Projektionsfläche an. So spiegeln sich in One of us (1981), dem letzten großen internationalen Hit der Gruppe ganz unverkennbar die realen, zerbrechenden Beziehungen der beiden Paare: „One of us had to go. Now it’s different, I want you to know.“ – Man ist wieder alleine.

Und auch The Winner takes it all, eines der wirkungsvollsten ABBA-Lieder handelt traurig vom Schlachtfeld der Liebe, und davon, dass es jetzt vorbei ist. Und es ist anders, als der Titel vermuten lässt: Bei der Scheidung gibt es keine Gewinner: „The judges will decide.“

1982 verabschiedet sich ABBA dann in die besagte Pause, löst sich aber als Gruppe nie auf. Die Mitglieder finden neue Beziehungen und gehen ihre eigenen Wege. Ihre Musik bleibt bestehen und bereichert mit ihren Ohrwurmqualitäten weiterhin das Leben unzähliger Fans. Der Erfolg lässt auch in der Pause nicht nach. Das 1992 veröffentlichte Best-of-Album „ABBA Gold“ wird mit 31 Millionen verkauften Exemplaren zu einem der weltweit erfolgreichsten Alben überhaupt. ABBA bleibt lebendig. In unzähligen Karaoke-Bars singen Menschen weltweit die ABBA-Songs. Das ABBA-Musical „Mamma Mia“ (Premiere 1991 in London) findet über 60 Millionen Zuschauer. Und auch die Verfilmung des Musicals im Jahr 2008 wird zu einem überragenden Erfolg. ABBA-Songs werden immer wieder neu gecovert und vermarktet. 2013 wird in Stockholm ein ABBA-Museum eröffnet und ein bisher letzter Coup gelingt ABBA mit der virtuellen Konzertshow ABBA Voyage, natürlich verbunden mit dem gleichnamigen Studioalbum.

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