Modest Mussorgsky

Modest Mussorgsky, 1839 auf dem Land nahe der litauischen Grenze geboren, lernte das Klavierspielen als Kind von seiner Mutter und später bei einem Schüler von Adolf Henselt. Zunächst schlug er die Militärlaufbahn ein und diente als Offizier, bevor er unter dem Einfluss des Petersburger „mächtigen Häufleins“ (Cui, Balakirew, Rimskij-Korssakow und Borodin) es wagte, sich ganz der Musik zu widmen (1858-1863). Nach dem Verlust des väterlichen Gutes musste er jedoch als Beamter in verschiedenen Ministerien sein Geld verdienen.

Zunehmend litt er unter dem Unverständnis seiner Freunde, denen seine Musik zu verworren, zu neu, zu kompromisslos eigenständig war. Sein schlampiger Lebensstil und seine Alkoholexzesse leisteten solchen Ansichten Vorschub. Die außerordentlich saubere, gut lesbare Handschrift seines Manuskripts spricht dagegen eine andere Sprache. Musikalisch wusste er genau, was er tat. Er starb im Alter von 42 Jahren an einem Schlaganfall.

1874 organisierte der einflussreiche Kunstkritiker Vladimir Stassow, der in seinem Hause die bedeutendsten Künstler Petersburgs um sich scharte, eine umfassende Werkschau des gerade mit 39 Jahren verstorbenen Viktor Hartmann. Die skurrile Phantasie dieses von Einfällen übersprudelnden Künstlers passt in keine Schublade. Er entwarf Gebäude, Theaterszenen und Alltagsgegenstände in oft überladener altrussischer Ornamentik. Der „Gnom“ war zum Beispiel eine Holzfigur zum Nüsseknacken als Christbaumschmuck, die „Hütte der Baba-Yaga“ eine zierliche, auf Hühnerfüßchen stehende Tischuhr.

Mussorgsky nimmt in seinem revolutionären Klavierstück die Hörer mit auf eine fantastische Reise durch verschiedene Länder und Stationen des Menschenlebens. Die statischen Bilder Hartmanns verwandeln sich dabei in dramatische Szenen. Der Betrachter geht in wehmütig verhaltenem Schritt von einem Bild zum andern, durch den Einfluss der Bilder verändert sich sein Gang.

Die Orchestrierung von Maurice Ravel von 1922, ein Auftrag des Dirigenten Sergej Koussevitzky, fügt in seiner französisch-impressionistischen Sichtweise den Bildern noch weitere interessante Facetten hinzu. Zum besseren Verständnis hier die originalen Spielanweisungen aus dem Mussorgsky-Autograph (in verschiedenen Sprachen):

Promenade
Allegro giusto, nel modo russico, senza allegreza, poco sostenuto (Richtiges Allegro, auf russische Art, ohne Fröhlichkeit, ein wenig zurückgehalten) Die Melodie ist unregelmäßig gebaut, abwechselnd im 5/4 und 6/4 Takt notiert, sie orientiert sich an der russischen Sprachmelodie.

Nr. 1 Gnomus
Sempre vivo-poco meno mosso, pesante jeweils abwechselnd. (immer lebhaft – etwas weniger bewegt, schwerfällig)

Promenade
Moderato comodo assai e con delicatezza

Nr. 2 Il vecchio castello (das alte Schloss)
Andantino molto cantabile e con dolore, espressivo (Andantino, sehr gesanglich und schmerzvoll, ausdrucksvoll) Man hört den Gesang eines Spielmanns mit Begleitung der Drehleier (Celli).

Promenade
Moderato non tanto, pesamente (Gemäßigt, aber nicht zu sehr, lastend)

Nr. 3 „Tuilleries“ (Dispute d‘enfants après jeux)
(Streit von Kindern nach dem Spielen) Allegretto non troppo, capriccioso (launenhaft)

Nr. 4 „Bydlo“
Sempre moderato, pesante crescendo, con tutta forza, diminuendo, perdendosi (lauter werdend, mit aller Kraft, leiser werdend sich verlierend) Bydlo ist ein polnischer Ochsenkarren, der sich rumpelnd nähert und wieder entschwindet. Die Melodie gleicht einem Lied der Wolgatreidler, wie sie auf Ilja Repins berühmtem Gemälde zu sehen sind.

Promenade
Tranquillo (ruhig)

Nr. 5 Scherzino, „Ballett der Küken in ihren Eierschalen“
(in russischer Sprache) Vivo, leggiero (lebhaft, leicht) Hartmanns Bild zeigt Skizzen zu Theaterkostümen für eine Aufführung des Ballettnachwuchses in Petersburg. „Sie waren als Kanarienvögelchen gekleidet und rannten lebhaft über die Bühne. Manche waren in die Eierschalen eingesetzt, gleichsam geharnischt“. (Stassow)

Nr. 6 „Samuel Goldenberg und Schmuyle“
(in deutscher Sprache) Andante, Grave, energico (Samuel Goldenberg), Andantino (Schmuyle) Schilderung zweier Juden: einer groß, gesetzt und reich, einer klein, quirlig und arm.

Nr. 7 Limoges „Le Marché“ (La grande nouvelle)
Allegretto vivo, sempre scherzando
Dazu im Autograph in französischer Sprache: „Die große Neuigkeit: M. de Puissangeout hat soeben seine Kuh „Die Flüchtige“ wiedergefunden. Aber die Klatschbasen von Limoges sind über diese Angelegenheit nicht vollkommen übereingekommen; denn Mme. De Remboursac hat sich ein schönes porzellanenes Gebiss verschafft, während die pfingstrosenrote Nase von M. De Panta-Panitaléon ihn immer noch stört.“ Das aufgeregte Geschwätz geht nahtlos über in

Nr. 8 „Catacombae“ (Sepulcrum Romanum – Römische Begräbnisstätte)
Largo, Andante non troppo, con lamento (klagend) „Cum mortuis in lingua mortua“ (Mit den Toten in toter Sprache) Die Katakomben von Paris

Nr. 9 Die Hütte auf Hühnerfüßchen (Baba-Jaga – russisch)
Allegro con brio, feroce (Allegro mit Schwung, wild) Altrussischer Hexensabbat. Dabei tritt der Tritonus als Intervall des Teufels auf.
Ohne Pause folgt

Nr. 10 Das Heldentor (in der alten Hauptstadt Kiew – russisch)
Allegro alla breve Maestoso con grandezza Hier spielen als russisches Nationalsymbol die Glocken eine große Rolle, die auch heute noch vielerorts in Russland nach traditionell kunstvoller Art „gebeiert“ (mit dem Hammer angeschlagen) werden. Der stille Choral, der die „Grandezza“ unterbricht, soll ausdrücklich „senza espressione“ (ausdruckslos) gespielt werden.

Traurigkeit und innere Verbundenheit zu seinem früh verstorbenen Freund Viktor Hartmann waren für Modest Mussorgsky Anlass, 1874 die Klaviersuite „Bilder einer Ausstellung“, zu komponieren. Dazu entstand 1922 die Orchestrierung von Maurice Ravel aus Bewunderung. Langjährige Freundschaft des Sinfonieorchesters Bergheim mit der Malerin Claudia Moritz-Marten – die einst im Jugend-Sinfonieorchester Violine spielte – führten dazu, für die besagte Musik einen malerischen Zyklus zu schaffen.

Die Künstlerin entwickelte neue Bildideen zu den historischen Motiven in ihrem Stil und in farbkräftiger Tonart. Aus zweifach verwurzelter Liebe heraus schuf Sie ihre stimmungsreichen Bilder: aus Zuneigung zur Musik und aus Hingabe zur Malerei – und dies mit Respekt vor der Größe des Orchesterwerkes.

Ihre fantasiereichen Interpretationen in Acryl auf Leinwand und die durch die Bilder der Werkgruppe führenden Acryl-Collage-Variationen (ihren Promenaden) – sind vom Zauber der Musik erfüllte. Sie begleiten die „Bilder einer Ausstellung“ ohne mit ihnen zu konkurrieren – gleichsam wie eingeblendete Untertitel zum Spiel des Orchesters.

  1. Der tanzende Zwerg – ein geduckt tanzender Wicht, der wieder und wieder tappsend Blauspuren hinterläßt und – sich um sich selbst drehend – seinem Schwindelbild gegenüber steht.
  2. Das verwunschene Schloss – glutrot aufscheinende Konturen im blauverschachtelten Fassadenmeer – ähnlich dem Ariadnefaden, durchziehen sie den Zauberort.
  3. Im Park – blaudurchzeichnetes Blattwerk dicht stehender Bäume mit duftigen Kronen vor einer goldgelben Lichtung.
  4. Der Ochsenkarren – kräftig vorwärtsdrängende, gelb-orange Leiterwagenschwere in starkem Duktus – leuchtend davor, im braun aufgemischten Arbeitsfeld, gelbbraune Ochsen – wie Noten in verschiedenen Ebenen versammelt, im Auf und Nieder, im Hin und Her, gezeichnet von Spuren wiederkehrenden Wirkens.
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