Andrea und Giovanni Gabrieli
Am Markusdom in Venedig gab es schon seit dem 15. Jahrhundert zwei Orgeln, mehrere Emporen und daher eine lange Tradition des mehrchörigen Singens. Der Niederländer Adrian Willaert brachte die Kirchenmusik auf höchstes Niveau und machte Venedig zu einem Mittelpunkt der europäischen Musikkultur. Gleichzeitig entwickelte es sich zum europäischen Zentrum des Notendrucks, wodurch sich sein Ruhm schnell überall verbreitete.
Außerdem war 1565-1595 dort als Kapellmeister (Chorleiter) Gioseffo Zarlino tätig, der bedeutendste Musiktheoretiker seiner Zeit. Er studierte die Musiklehre der alten Griechen, besonders die grundlegenden Berechnungen des Pythagoras und Ptolemaios und versuchte sie mit den Erfordernissen der musikalischen Praxis in Einklang zu bringen, So wie die Renaissancemaler durch die Berechnung der Perspektive Tiefe in die bis daher flächige Malerei brachten, entstand jetzt durch das mehrstimmige Musizieren harmonische Tiefe in der Musik, deren Zusammenklang man nicht mehr dem Zufall überlassen wollte.
Andrea Gabrieli (um 1510-1586) begann als Sänger am Markusdom und wurde dort 1585 als 1. Organist Nachfolger von Claudio Merulo, der dort besonders die Instrumentalmusik auf große Höhe gebracht hatte. Gabrieli übernahm von Willaert die Praxis der „Cori spezzati“, der geteilten Chöre. Die etwa 20 Instrumentalisten wurden auf die Emporen verteilt, um interessante Klangfarben und Echowirkungen hervorzurufen. Andrea Gabrieli hatte einige Zeit bei Orlando di Lasso in der Münchener Hofkapelle zugebracht. Neben seinem Ruhm als Komponist war er als Orgelimprovisator und Lehrer, u.a. von Hans Leo Hassler, europaweit geachtet.
Sein Neffe Giovanni (1557-1612) war ebenfalls von 1575-1579 bei Orlando di Lasso in der Münchener Hofkapelle. Ab 1584 war er Organist an San Marco, nach dem Tode seines Onkels 1586 als Hauptorganist. Wie dieser schrieb er Werke aller Gattungen, nahm die Musikströmungen seiner Zeit auf und erweiterte sie. Sein besonders sensibles Verhältnis von Wort und Ton beeinflusste vor allem seinen bedeutendsten Schüler Heinrich Schütz, der drei Jahre bei ihm gelernt hat. Mit der Einbeziehung des Generalbasses und des Sologesangs leitete Giovanni Gabrieli den Übergang zur Barockmusik ein.
Canzonen und Ricercari waren beliebte Formen der italienischen Musik, die man sowohl singen, als auch mit Instrumenten spielen konnte. Schon Andrea Gabrieli ist besonders im Ricercar sehr experimentierfreudig. Er nimmt ein prägnantes Thema, lässt es durch die Stimmen wandern, in großen oder kleinen Notenwerten auftreten, stellt es auf den Kopf , lässt es der anderen Stimme ins Wort fallen oder von einem 2. Thema begleiten. Diese Techniken wird später J.S.Bach zu höchster Blüte bringen.
Das Ricercar ist ein schönes Beispiel für den fließenden Übergang in das Dur-Moll-System, wie wir es heute kennen. Eigentlich in strahlendem C-Dur stehend, ist das Thema von der Melodiebildung der alten Kirchentöne geprägt. Der 12. Ton „Hypoionisch“ reicht im Umfang von G bis g; der Wiederholungston, auf dem man beim Psalmodieren die überzähligen Silben singt, ist das g. Das Thema des Ricercar beginnt denn auch mit wiederholtem g und endet mit einer typischen Schlussformel auf dem Finalton C.