Peer Gynt-Suiten

Edvard Grieg (1843-1907) wuchs in einem kultivierten Elternhaus auf. Seine Mutter war Pianistin und die größten Musiker der Zeit kamen zu Besuch. Der Geiger Ole Bull erkannte das Talent des Jungen und sorgte dafür, dass er ein Stipendium in Leipzig bekam. Grieg behauptete aber später, in dem „vermaledeiten Konservatorium“ so gar nichts gelernt zu haben. Der Unterricht war ihm zu trocken-akademisch, obwohl er so hervorragende Lehrer wie Ignaz Moscheles und Carl Reinecke hatte. Außerdem hörte er in Leipzig Clara Schumann mit dem Klavierkonzert ihres Mannes und Wagners Tannhäuser. Dass er dem ausgezeichneten Gewandhausorchester sehr gut zugehört hat, zeigt sich in der raffinierten Instrumentierungskunst seiner späteren Werke.

1863 ging Grieg zu Gade nach Kopenhagen, denn ein norwegisches Musikleben gab es noch nicht. Auch dort war er aber nicht glücklich. Bisher hatte er nur wenig und vor allem kleine Formen komponiert. Gade verlangte nun von ihm eine Sinfonie. Auf das Manuskript schrieb Grieg „Darf niemals aufgeführt werden!“ Die Wende kommt durch die Begegnung mit dem Komponisten Richard Nordraak: „Es fiel mir wie Schuppen von den Augen; erst durch ihn lernte ich die norwegischen Volkslieder und meine eigene Natur kennen. Wir verschworen uns gegen den durch Mendelssohn verweichlichten Skandinavismus und schlugen mit Begeisterung den neuen Weg ein.“ Für seine Cousine Nina Hagerup, eine ausgezeichnete Sängerin schreibt er eine Reihe von Liedern auf Texte von Hans Christian Andersen. Seine kleinen Stücke bekommen dadurch eine ganz neue emotionale Qualität. 1867 heiraten die beiden.

Mit seiner Klaviersonate op.7 wagt er sich an eine neue durchkomponierte größere Form und auch die erste Violinsonate op.8 betritt neue Bahnen. Er entwickelt eine ganz typische „moderne“Harmonik, die ungerührt dissonante Akkorde ohne Auflösung nebeneinander setzt. Musikalischer Impressionismus liegt in der Luft. Grieg achtet aber immer darauf, dass der Volkston nicht gesprengt wird. Als Begleiter seiner Frau, Klaviersolist, Dirigent und Lehrer erwirbt er sich, auch auf ausgedehnten Reisen durch Europa, den Ruf des führenden norwegischen Musikers. 1873 erhält er vom norwegischen Staat ein Stipendium von jährlich 1000 Kronen; außerdem sprudeln die Einnahmen aus seinen „kleinen Stücken“ vom Peters-Verlag, Leipzig. So kann er in Ruhe den größeren Auftrag ausführen, eine Bühnenmusik zu Henrik Ibsens neuem Bühnenstück „Peer Gynt“ zu schreiben, obwohl ihm das zunächst „der unmusikalischste Stoff von allen“ zu sein scheint. Diese heute als Inbegriff des Nordischen berühmte Musik schreibt er kurioserweise in Italien. Autor wie Held des Werkes bleiben ihm einigermaßen fremd, die Musik aber spricht ihre eigene persönliche Sprache und ist daher zu Recht so populär geworden. Die Uraufführung des Dramas 1876 ist ein Misserfolg. Grieg stellt daher aus den 23 Nummern 8 zu 2 Suiten für den Konzertsaal zusammen. Die Reihenfolge folgt musikalischen Gesetzen und würfelt die Handlung wild durcheinander.

Peer Gynt ist ein aufschneiderischer Abenteurer, der sich aus seinem freudlosen Elternhaus in eine Fantasiewelt rettet. Er bricht dann tatsächlich in die Welt auf, wobei er überall Unheil anrichtet, fliehen muss und immer tiefer sinkt. Also ein Art umgekehrter Entwicklungsroman. Ibsen beschreibt Peer als eine „Zwiebel mit vielen Hüllen, die jedoch keinen Kern hat“ und kritisiert in seinem Stück deutlich den romantischen Nationalismus. Die berühmte „Morgenstimmung“ findet im Drama in Afrika statt. Peer Gynt ist durch Sklavenhandel reich geworden und in Marokko gelandet. Ob flirrende Wüste oder Morgennebel über norwegischem Fjord, die zauberische Stimmung der Flötenmelodie und der Vogelstimmen in den Holzbläsern nimmt überall gefangen. Mit „Ases Tod“ springen wir wieder nach Norwegen. Peer sitzt am Totenbett seiner Mutter und erleichtert ihr mit fantastischen Geschichten das Sterben. Ein ergreifender Trauergesang der gedämpften Streicher. Das ist Griegs Stärke: Höchste Expressivität mit wenig, sehr sorgfältig gewählten Mitteln auf kleinstem Raum. Zurück in Afrika ist Peer Gynt verarmt in der Wüste einem Affenangriff ausgesetzt, nachdem sein Schiff gestohlen und versenkt wurde. Die Beduinentochter „Anitra“ rettet ihn und bezirzt ihn mit einem orientalischen Tanz: Dialog der Streicher mit Triangel-Begleitung. Anitra ist dem „Hallodri“ aber durchaus gewachsen und stiehlt ihm die letzten Habseligkeiten. Schließlich landet er sogar im Irrenhaus in Kairo. Von dort geht es,- psychologisch ziemlich plausibel-, in die „Halle des Bergkönigs“, wo der König der Trolle und seine unheimliche Gefolgschaft sich an ihm rächen, weil er die Tochter des Bergkönigs verführt hat. Peer begegnet seinen eigenen Dämonen. Mit diesem sich immer mehr steigernden Höllenspuk endet die erste Suite.

Die Zweite Suite beginnt mit dem brutalen Raub der Braut Ingrid aus einer Hochzeitsgesellschaft. Im Gegensatz zu Anitra bleibt der Misshandelten nur die ergreifende Klage. Es folgt ein „Arabischer Tanz“, bei dem die Streicher heftig mit den Bögen auf die Saiten schlagen, unterstützt von allerlei exotischem Schlagwerk und orientalisch gefärbten Bläsermelodien. Der nächste Satz schildert die dramatische Heimkehr aus der Fremde im Sturm an der norwegischen Küste. Hier hört man deutlich die Vorbilder von Mendelssohns „Hebridenouvertüre“ und Wagners „Fliegendem Holländer“. Wellenbrecher und zuckende Blitze werden sehr plastisch dargestellt. Nach der Rettung erwartet ihn seine Geliebte, die in unerschütterlicher Treue 30 Jahre auf ihn gewartet hat. Solveighs schlichtes Lied wird hier von den Streichern gesungen.

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