Nachklänge von Ossian
Für Robert Schumann war Niels Wilhelm Gade (1817-1890), dessen Werke zur Zeit eine erfreuliche Wiedergeburt erleben, der Inbegriff des nordischen Tons in der Musik. In seinem „Nordischen Lied“ im Album für die Jugend verwendet er die Tonbuchstaben G-A-D-E als Huldigung an seinen Kollegen. Niels Wilhelm Gade hatte mit seiner ersten Sinfonie in Kopenhagen wenig Erfolg gehabt und schickte sie deshalb nach Leipzig zu Felix Mendelssohn. Der führte sie voller Begeisterung sofort im Gewandhaus auf und verschaffte dem jungen Komponisten ein Stipendium fürs Konservatorium. Gade wurde dort bald Lehrer und als Dirigent Mendelssohns Assistent und nach dessen Tod 1847 auch sein Nachfolger. Schon 1848 musste er aber wegen des deutsch-dänischen Krieges nach Kopenhagen zurückkehren. Dort baute er ein Musikleben nach Leipziger Vorbild auf, erneuerte den Musikverein, das Konservatorium und das Orchester, das nun auf „Leipziger“ Niveau neueste Werke von Mendelssohn und Schumann, aber auch von Brahms und Wagner spielte. Daneben kamen aber auch ältere Meister wie Beethoven und Mozart zu Wort. Das war damals ganz neu.
Gade war als Sohn eines Instrumentenbauers von Hause aus Geiger und spielte bereits als 17-Jähriger in der Königlichen Kapelle. Ein regelmäßiges Gehalt gab es aber nicht. Daher versuchte er sich autodidaktisch in der Komposition. Bei einer begeisternden Norwegen- und Schwedenreise 1838 kam ihm die Idee, nordische Sagenwelt und Landschaft in Musik zu setzen.
Die Ouvertüre „Nachklänge von Ossian“ reichte er 1840 bei einem Wettbewerb des Kopenhagener Musikvereins ein und wurde mit diesem jugendlichen Geniestreich auf einen Schlag berühmt. Es ist bis heute sein bekanntestes Werk geblieben. „Formel hält uns nicht gebunden, unsere Kunst heißt Poesie!“ Dieses Motto von Ludwig Uhland, das er seiner Komposition voranstellte, sagt alles Notwendige! Es geht dabei aber nicht um ein literarisches Programm. Die Poesie liegt, wie bei Schumann, in der Musiksprache selbst, aus der auch die neue, von klassischen Konventionen freie Form hervorgeht. Daher spielt es auch keine Rolle, dass sich die mittelalterlichen Gesänge des keltischen Barden Ossian in Nachhinein als „Fake“ des schottischen Schriftstellers James MacPherson (1760) herausgestellt haben. Er bezieht sich zwar auf historische Motive, hat aber das Heldenlied komplett selbst erfunden. Populär wurde es bei uns vor allem durch Goethes „Werther“, der seiner Lotte daraus vorliest, wobei beide heiße Tränen darüber vergießen. In der Musik von Gade geht es um die Natur als Spiegel der Seele, um alte, ewig junge Gefühle, die in der Zeit des erwachenden Nationalstolzes auch der kleinen Nationen genau den Nerv trafen. „Nachklänge von Ossian“ als Seismograph des gärenden „ Sturm und Drang“, nicht als literarisches Schlagwort, sondern als wirkliche Revolution und Krieg.