Sinfonie Nr. 4 d-Moll

Schumanns 4. Sinfonie i st eigentlich seine zweite. Er schrieb sie in einem großen Schaffensrausch von Ende Mai bis Anfang September 1841 und nannte sie zuerst „Symphonistische Phantasie für großes Orchester”. Die Uraufführung im Leipziger Gewandhaus ging jedoch im Jubel um den gemeinsamen Starauftritt von Clara Schumann und Franz Liszt unter und brachte nicht den erhofften Erfolg. 10 Jahre später in Düsseldorf arbeitete Schumann die Sinfonie um und machte vor allem die sehr kammermusikalische Instrumentation besser durchhörbar und wirkungsvoller. So wurde sie beim „Rheinischen Musikfest” 1853 nach dem Triumph der „Rheinischen” als 4. Sinfonie ebenfalls zum Erfolg.

Dass die Zuhörer mit dem Werk zunächst ihre Schwierigkeiten hatten, verwundert nicht. Die Sinfonie hält nur äußerlich die gewohnte viersätzige Form ein, folgt aber nach innen ganz anderen Gesetzen. Schumann nennt sie auch in der Zweitfassung noch „Symphonie in einem Satze für großes Orchester”. Sie wird ohne Pause gespielt und ist durch vielfältige Beziehungen der musikalischen Motive durch das ganze Stück verklammert. In der Verarbeitung der einzelnen kurzen Motive und vor allem in den allmählich sich entwickelnden Aufschwüngen der Überleitungen ist das Vorbild Beethovens spürbar, aber die Form ergibt sich nicht nur aus der Dynamik der musikalischen Arbeit. Die Musik erzählt noch etwas, was außer ihr liegt, sich mit Worten nicht sagen lässt, aber erstaunlicherweise trotzdem verstanden werden kann.

Schumann, der in der Buchhandlung seines Vaters mit Literatur großgeworden und selbst ein großartiger Musikschriftsteller war, hat seinen Klavierstücken treffende Titel gegeben, auch Zitate vorangestellt, aber nie ein wirkliches Programm. Die Musik kann und muss für sich selbst sprechen.

Bei Schumann geht es immer eher um innere als äußere Ereignisse. Er war ein übersensibler, verschlossener Mensch, der aber auch ausgelassen und leidenschaftlich bis zum Exzess sein konnte. Diese „zwei Seelen in seiner Brust” personifizierte er in dem von ihm erfundenen ideellen „Davidsbund” als „Florestan”, den tatkräftig-zupackenden, himmelhoch-jauchzenden und „Eusebius”, den grüblerischempfindsamen, zögernden, entsagend-genießenden. Diese starken Gegensätze mit schnellem Wechsel der Stimmungen finden wir in dieser Sinfonie besonders ausgeprägt. Die zupackend-energische Florestan-Atmosphäre hat dabei eindeutig die Oberhand. Es gibt nur kurze melancholische Momente als Stocken und Zögern, dann reißt der Tatendrang wieder alles mit. Trotz der Molltonart hat sie nichts Tragisches oder Schweres, sondern viel Schwung, Lust zum Tanzen, Singen, zum heftigen geistreichen Disput. Große Steigerungen strahlen pure Lebenslust aus.

Die Sinfonie beginnt langsam, unter einem liegenden A der 1. Geigen und Flöten halten sich Wellenbewegungen in der Schwebe. Sie münden in einen zögernden Aufschwung der ersten Geigen, der bereits die Töne des energisch aufspringenden Haupthemas anklingen lässt, das dann lebhaft anbricht. Das ist der kämpferische Florestan in Reinkultur. Schnell aber macht Eusebius daraus ein gesangliches Gegenmotiv, das wie grüblerische Gedankenfetzen, von Pausen unterbrochen, durch alle Instrumente wandert. Später kommt noch ein paukenartiges Motiv dazu, das Grübeln wird dramatischer mit Streichertremoli und wilden Wellenbewegungen in Celli und Kontrabässen. Den Schluss des Satzes beherrscht ein schneller Wechsel zwischen einem schwungvollen, mit Nachschlägen begleiteten Gesangsthema und den schroffen Zacken des Hauptmotivs. Das Ganze steigert sich furios und geht unvermittelt in die Romanze über.

Sie bringt uns einen betörenden Gesang in der aparten Klangmischung von Oboe und Violoncello mit der Lautenbegleitung des zupfenden Orchesters. Bald tauchen die Wellen des Anfangs wieder auf, umschlungen von zarten Arabesken der Solovioline.

Im Scherzo hat Florestan wieder die Oberhand mit schnellen akzentuierten Streichermotiven und harschen Synkopenschlägen. Im Trio wird es walzerselig, ein eindeutiges Eins-Zwei-Drei ist aber nicht so leicht zu finden, denn die Synkopen und die chromatischen Umspielungen der 1. Geige bringen alles ins Unscharfe. Hier fällt die Abweichung von der gewohnten Form am meistens auf. Nach der Wiederholung des Scherzos, – eigentlich wäre es jetzt zu Ende – kommt Eusebius noch zu seinem Recht und führt in die langsame Einleitung des Schlusssatzes. Dabei kommen die Gedanken endlich zur Ruhe und die Musik fast zum Stillstand. Man hört nur noch ein ganz leises Auspendeln.

Aus dem Nebel dieser magischen Stille steigt auf dem Teppich der tremolierenden Streicher das Überleitungsmotiv aus dem 1. Satz immer höher hinauf und stürzt sich dann mit Fortissimoschlägen und dem energischen Hauptmotiv ins Getümmel des letzten Satzes. Das Träumen hat nun ein Ende und es geht tatkräftig-kämpferisch zur Sache. Punktierte Motive und aufstrebende Tonleitern wandern durchs Orchester, im Gleichgewicht gehalten durch gesangliche Aufschwünge und schwärmerische Tanzmelodien, unterbrochen von einem markanten Hornthema. Wir befinden uns offensichtlich auf einer fröhlichen Landpartie im Freien, die in übermütigem, vielleicht nicht ganz nüchternem Überschwang zu Ende geht.

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