20130930 rundschau 450 320Rhein-Erft-Rundschau - 30.09.2013 - Dietmar Fratz

Orgelnacht feiert den Gesellenvater

Kolping-Lied als Variation und Gulda-"Concerto" als Attraktion - Drei Organisten an der Orgel

Die elfte Sindorfer Orgelnacht seit der Erbauung der Mönch-Orgel im Jahr 1996 fiel zusammen mit dem 200. Geburtstag des Gesellenvaters Adolph Kolping, den es in dessen Geburtsstadt Kerpen in diesem Jahr besonders zu feiern gilt.

Mit einer überschaubar aufregenden Orgelsonate von Mendelssohn Bartholdy begann der gut vierstündige Konzertmarathon mit einem Werk aus der Zeit Kolpings, als die Orgel sich aus dem liturgische Korsett in Richtung Konzertinstrument zu emanzipieren begann. Norbert Trierweiler, in der Vakanz der Organistenstelle Zwischen Gudrun Bonnemann und ihrem Nachfolger Michele Savino musikalischer Leiter der Orgelnacht in St. Maria Königin, schonte die schillernden Klangfarben für spätere Schwerstarbeit. Mit dennoch abwechslungsreichen Grundstimmen, manchmal etwas dick in der Tiefe, wurde das Werk im munteren zweiten und kräftigen dritten Satz zunehmend markant.

Mit dem Sinfonieorchester Bergheim erklang das Orgelkonzert Nr. 1 von Rheinberger, ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert. Im Dialog langten besonders die Hörner, aber auch der Streicherapparat ordentlich hin. Die Orgel blitze silbrig durch den dichten Orchestervorhang. Lieblich säuselnd, idyllisch schwärmend, majestätisch hochfahrend: Das Werk hat viel zu bieten, und die Musiker behielten dies nicht für sich.

Nach einer ausgiebigen Vesperpause freuten sich die Zuhörer in der zwar nicht proppenvollen, aber gut besuchten Kirche gestärkt auf den zweiten musikalische Gang: Der Trierer Organist Martin Bambauer improvisierte über das Kolpinglied "S'war einst ein braver Junggesell". Quer durch Stile, Rhythmen und die klangschönen Register stellte der Organist mit seiner Variationenreihe Instrument, Werk und seine bis in die hochgeschwindigkeitstauglichen Fußspitzen ausgefeilte Spielkunst vor.

Ebenso imposant gelang eine englische Konzertvariation über ein Anthem, das in einer Händel-Bearbeitung hierzulande unter dem Text "Wenn Christus, der Herr, zum Menschen sich neigt" bekannt ist. Hoch ragten die Choralpfeiler auf, zart schwebten die Zwischenmotive. Die Sensation der Orgelnacht war jedoch das abschließende "Concerto for Ursula" von Friedrich Gulda. In der letzten Stunde vor Mitternacht wurden die Publikumsreihen etwas lichter. Verpasst hatten die weniger Ausdauernden ein spannendes Werk. Das Bergheimer Orchester bewies wie in seiner ambitionierten Reihe "Klassik-Kontraste" wiederholt, dass es sich in jedem musikalischen Seitenpfad neugierig auf Spurensuche begibt. Neben den Streichern standen zwei Schlagwerker mit allem Schnickschnack bis zum scheppernden Blech, ein laut Komponistenforderung "jazzerfahrener Kontrabassist", ein E-Bass und die auf Vokalisen sinnfrei kolorierende Sopranistin Ursula Thies. Überzuckert wurde der Sound von der dezenten Orgel, die jetzt der frisch verdingte Organist Savino präzise bediente.

"Hinweise über das Werk sucht man bei Wikipedia und Google vergebens", bedauerte Moderator Herbert Vietor. Er hielt das Publikum mit - manchmal übertrieben weit hergeholten - geistreichen Hinweisen auf Werke und Künstler bei der Stange.

Der 2000 verstorbene Komponist und Pianist Gulda, vom Magazin Spiegel einst als "Jekyll and Hyde der Musikgeschichte" apostrophiert, versuchte im Grenzgang zwischen E- und U-Musik die Moderne zu umschiffen, ohne unmodern sein zu wollen. Sein vielschichtiges, frei interpretierbares Werk, das am Anfang an Loriots Jodeldiplom erinnert und am Schluss hochspannende Gewitter entlädt, lebte von der orchestralen Dynamik und vom gekonnten Vortrag der Trierer Sopranistin, die im hochanspruchsvollen Part zwischen Persiflage und Drama nie die Balance verlor. Das Publikum erhob sich zum Applaus respektvoll von den nach vier Stunden doch etwas unbequem gewordenen Bänken.