L'Arlesienne-Suite
In seinen „Lettres de mon moulin“ (Briefe aus meiner Mühle) von 1869 sammelte Alphonse Daudet kleine Geschichten aus seiner provençalischen Heimat und veröffentlichte sie in Pariser Zeitschriften. 1872 machte er daraus ein Theaterstück für das Pariser „Théatre du Vaudeville“, zu dem Georges Bizet eine Bühnenmusik mit 27 Nummern schrieb. Die zündenden Melodien entnahm er einer 1864 erschienenen Sammlung provençalischer Volksmusik.
Das Stück fiel jedoch durch, daher arbeitete Bizet die Musik kurzerhand zu einer Suite für großes Orchester um, der einzige große Erfolg, den er je mit seiner Musik erlebt hat.
Das Stück erzählt von der unglücklichen Liebe eines Bauernjungen zu einem schönen Mädchen aus Arles, das ihm jedoch nicht treu ist. Er verzichtet auf seine große Liebe, kann sie aber nicht vergessen. Beim Fest des heiligen Éloi wird die traditionelle, wilde Farandole zu seinem Totentanz. Er tanzt sich in Ekstase, nimmt damit Abschied vom Leben und stürzt sich dann aus dem Heubodenfenster.
Bizet, geb. 1838 in Paris, wurde dort mit 10 Jahren Schüler des Konservatoriums und studierte bei Fromental Halévy, dessen Tochter er später heiratete. Mit 16 schrieb er seine geniale Sinfonie, die sie auch schon in Bergheim hören konnten.
Der begehrte Rompreis ermöglichte ihm einen dreijährigen Aufenthalt in Rom, gemeinsam mit seinem Freund Ernest Guiraud, der nach Bizets frühem Tod aus der Arlesienne-Bühnenmusik die 2. Suite zusammengestellt hat. Guiraud, auch Verfasser der Rezitative in Bizets Oper Carmen, war wie Bizet selbst ein genialer Instrumentator.
Sie werden die typischen Volksinstrumente Flöte, auch Piccoloflöte und Harfe und die aparte, in der klassischen Musik ganz neue Klangfarbe des Saxophons hören. Dazu kommt die dunkle Farbe des Englischhorns und als Lokalkolorit ein Tamburin.
Die Ouvertüre der 1. Suite beginnt mit dem energisch auftrumpfenden „Marsch der Könige“, einem provenzalischen Weihnachtslied, das im Folgenden variiert wird. Die Holzbläser antworten mit einer gesanglicheren Version, dann treten drohende Streicherfiguren hinzu, die andeuten, dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird. Die Celli singen es dann in weichem, hellem Dur, konterkariert von durchlaufenden Fagott-Triolen, die aber von zwei Instrumenten abwechselnd gespielt werden. Nach erneutem Auftritt des Marsches in energischem Moll leiten drei leise Akkorde und eine lange Pause in den vom Solo-Saxophon beherrschten Mittelteil über. Harfenklänge künden den abschließenden Klagegesang an. Seufzermotive der Streicher werden durch hartnäckige Triolen der Bläser verunsichert, mit beklemmender Wirkung. Am Schluss steigert sich in wenigen Takten das Streichertremolo vom extrem leisen Pianissimo bis zum dreifachen Forte, um in zwei trockenen gezupften Tönen zu enden. Mehr Kontrast geht nicht. Die 2. Suite beginnt mit einer Pastorale, einer Hirtenidylle in der Camargue, bei der natürlich das Hirteninstrument Flöte, aber auch wieder das Saxophon eine prominente Rolle spielen. Dann beginnt ein Tanz, von Tamburin und Streichern rhythmisch akzentuiert.
Im folgenden Intermezzo, dem einzigen Stück dieser Suite, das ganz von Bizet stammt, erklingt ein anrührendes Lied zur Harfe. Zunächst ahmen die Streicher die Harfe nach, dann tritt sie selbst auf.
Das folgende Menuett, ein Paradestück für Soloflöte und Harfe, stammt aus Bizets Oper „Das schöne Mädchen von Perth“.
Im Schlusssatz „Farandole“ (provençalischer Reigentanz, traditionell begleitet von Einhandflöte und Tamburin) erklingt wieder der „Marsch der Könige“, diesmal aber in schnellem Tempo und im Kanon zwischen hohen und tiefen Streichern. Dazu tritt eine wilde Tanzmelodie („Lei chivaux frus“) die sich immer mehr steigert. Am Ende klingt es wie ein Wettbewerb zweier Dorfbands, die sich übertrumpfen wollen: Ekstase und Tod des Helden.
Auch Bizets Leben endete tragisch: Er starb schon mit 36 Jahren an einem Herzanfall, genau an seinem 6. Hochzeitstag. Den großen Erfolg seiner Oper
„Carmen“ und damit das Ende der leidigen Geldsorgen hat er nicht mehr erlebt. Sie trat, in der Fassung von Guiraud, 1875 ihren Siegeszug von Wien aus an, wo Johannes Brahms über 20 Aufführungen besucht haben soll. Jedenfalls ließ sich der leidenschaftliche Autographen-Sammler von Simrock eine Originalpartitur besorgen und war sehr stolz auf „dies reizende Weltkind“.