Gymnopedie Nr. 3

Wir beginnen minimalistisch mit Erik Saties Musik der provokativen Stille. Dieser originelle Komponist schrieb unter anderem ein Stück „Vexations“, das er wie folgt kommentierte: „Um dieses Motiv 840 mal zu spielen, wird es gut sein, sich darauf vorzubereiten und zwar in größter Stille, mit ernster Regungslosigkeit.“ Da er aber auch gesagt hat: „Der Komponist hat nicht das Recht, dem Zuhörer die Zeit zu stehlen“, verzichten wir auf solche „Quälereien“. Ebenso auf Stücke mit Titeln wie „Unappetitlicher Choral“, „Schlaffes Präludium für einen Hund“ oder die berühmte „Bürokratische Sonatine“.

Wir beschränken uns auf die „Gymnopédie“, das „Fest der unbewaffneten Knaben“ im antiken Sparta, wo nackte Jünglinge Wettbewerbe in Chorsingen, Kampfkunst und Pantomime bestritten. Was der Titel im Zusammenhang mit den 1888 entstandenen Klavierstücken bedeutet, ist wie immer bei Satie rätselhaft. Vielleicht bezieht er sich auf ein Gedicht seines Freundes J. P. Contamine de Latour, in dem davon die Rede ist, dass „die sich spiegelnden Bernstein-Atome ihre Sarabande in die Gymnopädie mischen“. 1887 hatte Satie drei Sarabanden geschrieben, da mussten wohl die Gymnopädien folgen.

Saties Musik passt wie ihr Urheber in keine Schublade. Vom Dur-Mollsystem wendet er sich ab, ebenso von allen überflüssigen Zutaten. Er will den reinen, „nackten“ Klang. Alles soll einfach, klar und vor allem kurz sein. Eben spartanisch!

Geboren ist Satie 1866 in Honfleur, einem Städtchen an der Mündung der Seine, als Sohn eines Versicherungsvertreters und einer schottischen Mutter, die aber früh starb. So wuchs er bei den Großeltern auf und erhielt Unterricht beim dortigen Organisten, der ihm Gregorianik und alte Kirchentonarten nahe brachte. Nach dem Tod der Großmutter lebte er wieder beim Vater in Paris. Seine Stiefmutter, eine Klavierlehrerin, brachte ihn im Konservatorium unter, das er mit mäßigem Erfolg besuchte. Er ging auch selten hin. Das konservative Klima dort, wie auch in seinem Elternhaus, behagte ihm nicht. Nachdem er aus dem Militärdienst wegen chronischer Bronchitis entlassen worden war, schlug er sich mit der Komposition von Klavierstücken und Chansons und als Klavierbegleiter durch.

Er begann das Nachtcabaret „Le chat noir“ auf dem Montmartre zu besuchen, wo er die Pariser künstlerische Bohème; Picasso, Braques, Man Ray, Jean Cocteau und Diaghilew kennenlernte. Debussy und Ravel spielten Stücke von ihm. Debussy instrumentierte zwei seiner Gymnopedien.

Aber auch dort war er ein Außenseiter, neigte zum religiösen Mystizismus. Die Bekanntschaft mit dem Gründer der Rosenkreuzer, deren offizieller Hauskomponist er wurde, brachte ihm wenigstens etwas Geld ein. Die Stücke, die er für sie schrieb, besaßen weder Taktstriche noch Notenschlüssel. Nachdem er sich mit den Rosenkreuzern überworfen hatte, gründete er seine eigene Kirche und exkommunizierte alle, die ihm nicht passten. Sein Realitätsverlust ging so weit, dass er sich dreimal um einen Sitz in der „Académie des Beaux Arts“ bewarb.

1898 nahm er ein Zimmer im entfernten Pariser Vorort Arcueil und ging jeden Tag zu Fuß zum Montmartre, wo er seit 1891 als Café-Concert-Pianist im „Auberge du Clou“ arbeitete, was er als schlimmen Abstieg ansah. Einmal pro Woche ging er zu Debussy, um sein Klavier zu benutzen.

Mit 40 Jahren nahm Satie sein Musikstudium wieder auf, diesmal an der „Schola Cantorum“ bei Vincent d‘Indy und Albert Roussel. Er erhielt tatsächlich 1905 ein Diplom mit der Note „sehr gut“ im Kontrapunkt.

Langsam zahlten sich seine Künstlerbeziehungen aus. 1917 schrieb er das Ballett „Parade“ für die „Ballets Russes“ von Diaghilew. Die Uraufführung endete in einem Skandal, der nur seinen Ruhm steigerte. Im gleichen Jahr folgte das symphonische Drama „Socrate“. 1920 erfand er die erste Musik, die ausdrücklich zum Nicht-Zuhören komponiert wurde. Sie sollte als Hintergrund zu einem Stück von Max Jacob ablaufen. „Die Musik soll im Raum sein wie Tisch, Stuhl oder Vorhang“. (Musique d‘ameublement).
1924 gab es wieder einen Skandal mit dem Ballett „Relâche“, das er mit Francis Picabia und René Clair gemacht hatte. Satie war aber zu krank, um noch Spaß daran zu haben. Er starb 1925 an den Folgen des jahrelangen Alkoholmissbrauchs.